Inzwischen arbeite ich seit über zehn Jahren als Texterin. In dieser Zeit habe ich eine Reihe von eigenen „Fach“begriffen entwickelt, um Texte zu beurteilen. Diese möchte ich dir heute vorstellen.
Ich präsentiere in alphabetischer Reihenfolge:
Fauxfreude: Ich bin sehr stolz auf diese Wortkreation! Sie beschreibt die falsche Vorfreude in Marketingtexten. „Bald ist es wieder soweit!“, „Der Countdown läuft!“ oder „Wir freuen uns auf Sie!“ sind Klassiker des Genres. An solchen Formulierungen störe ich mich, weil a) sie jeder verwendet und b) die Aufregung nur vorgegaukelt ist.
Jogginghosendeutsch: Wie meinte Karl Lagerfeld? „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ (Stilmittel? Richtig: Hyperbel). Daran angelehnt, definiere ich Jogginghosendeutsch als einen Text, den jemand schreibt, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Dem korrekte Rechtschreibung, Zeichensetzung oder Verständlichkeit einfach wurscht sind. Wer in Jogginghosendeutsch schreibt, den kümmert nicht, welchen Eindruck sein Text hinterlässt.
Labertexte: Fünfhundert Wörter gelesen, aber keine Aussage gefunden? Dann war das wohl ein Labertext. Zu viele Wörter, zu wenig Inhalt.
Ottonormalschreiberin: Es gibt Menschen, die mit Texten ihren Lebensunterhalt verdienen (ich zum Beispiel). Und dann gibt es den Rest der Bevölkerung: Leute, die im Beruf ab und an Texte schreiben müssen (z. B. E-Mails, Geschäftsbriefe oder Besprechungsprotokolle), deren eigentliche Aufgabe aber eine andere ist. Müssen diese Personen genauso viel über Rechtschreibung, Grammatik und Ausdruck wissen wie ich? Sollten ihre Texte den gleichen Ansprüchen genügen wie solche, für die mich Kundinnen bezahlen? Ich finde nicht. Und ich finde auch nicht, dass sie sich zu viele Gedanken um ihre Texte machen sollten. Ein solider, verständlicher, größtenteils fehlerfreier Text reicht für Ottonormalschreiberinnen vollkommen aus.
Professionalitätsfalle: Du glaubst, wenn du etwas schreibst, muss das anders klingen, als wenn du es aussprichst? Dann bist wohl auch du in die Professionalitätsfalle getappt. Damit bezeichne ich die Vorstellung, dass geschriebene Texte komplexer und „professioneller“ als Gesprochenes sein müssen. Das ist falsch und führt nur dazu, dass man sich das Schreiben unnötig umständlich macht. Einfach schreiben ist erlaubt und in vielen Fällen sinnvoll.
Schnarchtexte: Für mich ist es ein Kapitalverbrechen, Texte zu schreiben, bei denen dir während des Lesens die Füße einschlafen. Schließlich werden wir heutzutage in jedem Lebensbereich mit Texten konfrontiert. Content ist überall.
Es gibt Texte, die sind einfach von Natur aus unspektakulär. Ich will keine Packungsbeilage lesen, in der sich jemand rhetorisch verausgabt hat. Nur die Nebenwirkungen, bitte! Oder Cookie-Benachrichtigungen: Wenn es nach mir geht, könnt ihr euch alle die Keks-Wortspiele sparen.
Aber es gibt auch eine ganze Bandbreite an Texten, die man nicht lesen muss, sondern lesen kann. Und wenn ich meine Zeit und Aufmerksamkeit schon einem optionalen Text widme, dann ist es doch das Mindeste, dass dieser mich nicht in einen Wachkoma-ähnlichen Zustand versetzt, oder?
Was macht einen Text zu einem Schnarchtext? Hier findest du 6 praxiserprobte Tipps für maximal langweilige Texte.
Schreibanarchie: Du weißt genau, dass etwas, das du schreibst, falsch ist – tust es aber trotzdem? Das nenne ich Schreibanarchie. Die darf auch mal sein (solange daraus keine Missverständnisse entstehen). Denn ehrlicherweise muss man sagen, dass das ein oder andere Wort einfach doof aussieht, wenn man sich immer an die Regeln der deutschen Rechtschreibung hält. Also rein optisch. So wie „Text-Timeout“ statt „Text-Time-out“ (siehe weiter unten).
Textboss: Egal, welche Regeln du im Duden findest und was dir irgendeine Schreibmentorin erzählt (hi, noch mal!), im Endeffekt darf jeder und jede so schreiben, wie er oder sie möchte. Gegen Rechtschreibregeln zu verstoßen, bringt dir höchstens eine rote Unterringelung in Word und ein paar abfällige Kommentare von Besserwissern ein. Ernsthafte Konsequenzen, wenn du gegen Schreibkonventionen oder -tipps verstößt, gibt es nicht.
Textpertise: Jemand mit Textpertise weiß, was sie tut, wenn sie einen Stift in die Hand nimmt oder ein Word-Dokument öffnet. Sie weiß, wie man einen guten Text verfasst, was guten Schreibstil von schlechtem unterscheidet, sitzt keinen Irrglauben über gute Texte auf; ist so sicher in ihren Schreibfähigkeiten, dass sie sich traut, Texte mit Persönlichkeit zu verfassen. Es ist jemand, die die wichtigsten Rechtschreib- und Zeichensetzungsregeln kennt – oder zumindest weiß, wo sie sie nachschlagen kann.
Text-Timeout: Wenn es dir schwerfällt, deine Gedanken verständlich zu Papier zu bringen, empfehle ich dir ein Text-Timeout. Das funktioniert folgendermaßen: Bevor du deinen Text schreibst, machst du eine Pause. Statt in die Tasten zu greifen, setzt du dich auf deinen Hosenboden und überlegst erst mal, was du den eigentlich sagen willst. Wenn du dir darüber im Klaren bist, kannst du das Text-Timeout beenden und losschreiben. Das kommt der Qualität deines Geschriebenen sehr zugute. Ganz nach dem Motto: Erst denken, dann schreiben.
Verbquote: Die Verbquote ist ein textlicher Key-Performance-Indicator, den ich mir ausgedacht habe. Wer an der Qualität seiner Texte interessiert ist, sollte deren Verhältnis von Verben am Gesamttext messen. Das ist eine superwissenschaftliche, mehrfach peer-reviewte Art, um festzustellen, ob der eigene Text einen einigermaßen annehmbaren Stil hat (also nicht im Nominalstil verfasst ist).
Verlegenheitsfloskeln: Es gibt so Formulierungen, die schreibt man, obwohl man es eigentlich gar nicht will. Sie fließen so aus der Feder, tippen sich quasi von selbst. Sie gehören zu bestimmten Texten einfach dazu – daran lässt sich nichts machen. Es sind Formulierungen wie „Wir möchten Sie darauf hinweisen“ oder „hiermit“ oder „Kommen Sie bei Fragen gerne jederzeit auf uns zu“. Was sollte man auch sonst schreiben?
Ich nenne sowas Verlegenheitsfloskeln, weil sich fast niemand traut, sie wegzulassen. Obwohl wir uns mündlich ja auch nicht so ausdrücken. Oder hast du schon mal die Haustür geöffnet und jemand sagt zu dir: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass Ihre Garage brennt.“ Nö. „Ihre Garage brennt“ reicht vollkommen aus.
Wischiwaschiwörter: Obwohl jedes Wort mindestens eine Definition hat, gibt es ein paar Ausdrücke, die dennoch nahezu bedeutungsfrei sind. Das liegt zum einen daran, dass sie so allgemein sind, dass man sie in quasi jedem Kontext verwenden kann. Und zum anderen, dass sie quasi in jedem Kontext verwendet werden und deshalb keinerlei eigenständigen Charakter mehr haben. Ich spreche von so Begriffen wie: innovativ, Benefits, bewerkstelligen oder professionell. Wischiwaschiwörter statt prägnanten Ausdrücken halt.
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