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Ist genderneutrale Sprache wichtig?

Genderneutrale Sprache – muss das sein?

Gendern – go! Jeder (und jede!) hat eine Meinung dazu. Neutrale Ansichten zu genderneutraler Sprache sind so rar wie richtig gesetzte Kommata. Man (frau) ist entweder im Lager „Sprachverhunzung“ oder im Fanclub „Gendersternchen“. Dazwischen? Nun ja, Angela Merkel vielleicht.

Gestritten wird viel über das Thema. Sowohl Befürworter und Gegnerinnen von gendergerechter Sprache haben gute Argumente. Beide Seiten neigen zur Übertreibung.

Ich bin für genderneutrale Sprache. Ich gendere auf meiner Website und empfehle meinen Kund*innen das auch zu tun. Trotzdem kann ich Leute verstehen, die Gendern aus Gründen der Lesbarkeit kritisch sehen. Und manchmal sehe ich genderneutrale Formulierungen, bei denen ich mit den Augen rolle („Nationalsozialist*innen – wie hoch war nochmal die Frauenquote im Kabinet Hitler?). Deshalb plädiere ich bis auf Weiteres (d.h. bis wir uns einig sind oder bis es ein Regelwerk gibt) für unverkrampftes Gendern.

Warum bin ich für gender­neutrale Sprache?

Sprache ist nicht nur ein lebloses Ding ist, mit dem wir uns nun mal untereinander verständigen. Wie wir sprechen, wie wir Sprache nutzen, hat einen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen. Sprache, wenn auch unterbewusst, prägt unser Denken.

Wenn wir ungegenderte Texte lesen, also solche, die im generischen Maskulinum verfasst wurden, stellen wir uns unter Ingenieuren, Politikern und Rennfahrern Männer vor. Auch wenn der Autor oder die Autorin damit sowohl Männer als auch Frauen meint und wir natürlich wissen, dass auch Damen diese Berufe ausüben. Hören wir: „Die Ärzte sagen, er hat nur noch drei Monate“, dann sehen wir vor unserem inneren Auge erstmal drei Herren in weißen Kitteln vor. Zu diesem Ärzte-Team zählen aber vielleicht neben Assistenzärzten auch die Chefärztin.

Wer diesen Satz von sich gibt, unterschlägt die beiden Medizinerinnen natürlich nicht absichtlich. Wir alle verwenden ständig – im Mündlichen noch viel mehr als im Schriftlichen – die männliche Mehrzahl, wenn wir von einer Gruppe von Leuten sprechen, denen Männer und Frauen angehören. Denn „der Arzt und die Ärztinnen“ oder „die Sportler und Sportlerinnen“ ist für uns umständlich und wirkt oft unnatürlich.

Sprache beeinflusst unsere Vorstellung

Warum also das affektierte Gendern? In dem eben genannten Beispiel-Satz ist natürlich nicht entscheidend, wie sich dieses Team zusammensetzt. Die Hauptinformation ist: Der macht es nicht mehr lang.
Aber Sätze wie dieser beeinflussen unser Denken und unsere Realität. Wie viele Ärzte gibt es und wie viele Ärztinnen? Wie oft wird von Software-Entwicklern gesprochen und wie viele Software Entwicklerinnen gibt es?

Wird von einem Beruf nur in der männlichen
Form gesprochen, schränkt das unsere Vorstellung ein und prägt uns: „Software-Entwicklung ist eine Männer-Domäne, kein Job für Frauen.“ Natürlich ist das bei Weitem nicht der einzige Grund, warum so wenige Frauen MINT-Berufe ergreifen. Aber es trägt dazu bei. Und wenn wir das ändern wollen, sollten wir uns entsprechend verhalten.

Mitgemeint ist nicht gut genug

Wir sind das generische Maskulinum gewöhnt, deshalb stören wir uns nicht weiter dran, wenn wir noch nie darüber nachgedacht haben. Wenn du aber mal einen Text im generischen Femininum schreibst, wird dir auffallen, wie absurd es ist, Männer und Frauen sprachlich gleich zu behandeln: „Alle Patientinnen müssen nüchtern zur Untersuchung erscheinen.“ Plötzlich ist nicht mehr klar, ob beide Geschlechter gemeint sind oder nicht doch nur Frauen.

Wenn du mal einen Text im generischen Femininum schreibst, wird dir auffallen, wie absurd es ist, Männer und Frauen sprachlich gleich zu behandeln.

Niemand würde einen Raum voller Männer und Frauen mit den Worten „Herzlich willkommen, meine sehr verehrten Herren“ begrüßen, eine E-Mail an unbekannten Empfänger mit „Sehr geehrte Herren“ beginnen oder eine Anna Müller als „Herr Müller“ ansprechen. Im Grunde ist das aber in vielen Fällen, was wir mit dem generischen Maskulinum tun – auch auf Websites.

Gendergerechte Sprache: Pro und Contra

Leute, die Gendern (noch) ablehnen, sind nicht zwingend Sexist*innen. Schließlich sind viele Frauen darunter und auch solche, die sich als Feministinnen bezeichnen. Am häufigsten führen sie drei Gründe an, warum sie genderneutrale Sprache ablehnen:

  • Gendern sei Sprachverhunzung.
  • Gendersternchen und ähnliches störe den Lesefluss.
  • Sie fühlen sich auch vom generischen Maskulinum angesprochen.

Sprachverhunzung

„Verhunzung“ ist natürlich ein sehr subjektiver Begriff. Was sagt Onkel Duden? „verhunzen: [durch unsorgfältigen, unsachgemäßen Umgang mit etwas] verunstalten, verderben“. Kann man so sehen. Ich würde zum Beispiel argumentieren, dass der unsorgfältige und unsachgemäße Umgang mit dem Apostroph die deutsche Sprache verhunzt. Geschmäcker sind halt verschieden.

Der Unterschied ist, dass der Apostroph aus Unwissenheit 
gesetzt wird. Gegendert wird aus einem Grund. Und dieser ist selbst für eine Sprachpuristin wie mich wichtiger als sämtliche Grammatikregeln.

Störung des Leseflusses

Stört genderneutrale Sprache wirklich den Lesefluss? Zunächst wahrscheinlich schon. Die lesende Bevölkerung wird noch relativ wenig mit gegenderten Texten konfrontiert. Wenn sich nun plötzlich *, : oder _ mitten im Wort oder Dutzende Schrägstriche im Text tummeln, irritiert das erstmal.

Allerding gewöhnt sich das Gehirn sehr schnell daran. Noch 2004 konnten sich die wenigsten Deutschen vorstellen, das Wort „Kanzlerin“ zu benutzen. „Kann es überhaupt eine weibliche Form von „Kanzler“ geben?“, fragte man damals. Nachdem Angela Merkel 100 Tage im Amt war hatte sich jeder daran gewöhnt und heute kommt es niemanden mehr seltsam vor.

Eine Anekdote: Auf einer Fortbildung vor einigen Jahren kam ein Raum voller Texterinnen und einem Texter ebenfalls auf das Thema zu sprechen (eventuell habe ich die Diskussion ausgelöst …). Der Raum stand Gendern eher ablehnend gegenüber. Eine der anwesenden Damen, die als Redakteurin an einer Universität tätig war, an der bereits seit Jahren gegendert wird, erzählte, dass sie auf Nachfrage erst überlegen musste, ob in den Texten der Hochschule denn gegendert werde. So sehr war es für sie Normalität geworden.

In welchen Fällen ich nicht gendere

Muss man immer gendern? Ich finde nicht. Natürlich schadet es nichts, auf Nummer sicher zu gehen, damit sich wirklich jede Person angesprochen fühlt. Aber ich bin der Meinung, dass es nicht überall notwendig ist.

Fälle, in denen ich nicht (immer) genderneutrale Sprache verwende:

  • Wenn Frau sich 100 Prozent sicher sein kann, dass sie trotz generischem Maskulinum gemeint ist. Zum Beispiel wenn ich zur Mitarbeiterversammlung eingeladen werden. Ich weiß, ich gehöre zur Belegschaft der Firma, und halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass nur die männlichen Kollegen erwünscht sind (natürlich wäre Personalversammlung ein schöneres Wort). Genauso, wenn ich einen Artikel mit „Tipps für Läufer“ entdecke. Sicherlich sind diese Ratschläge nicht nur für männliche Jogger, also fühle ich mich nicht ausgeschlossen.
  • Wenn wirklich nur Männer gemeint sind. Ich finde es unsinnig – und etwas verlogen – die gegenderte Form eines Substantivs zu verwenden, wenn die Frauen, die es einschließen soll, gar nicht existieren. Etwa eine IT-Firma, die von ihren Software-Entwickler*innen spricht, aber nur programmierende Männer beschäftigt.
  • Wenn ich die genderneutralen Alternativen von Substantiven albern finde. Über ein Wort wie „Lehrkörper“ haben wir schon in der dritten Klasse gekichert. Einige dieser „Mittellösungen“ finde ich okay (z. B. Studierende), auf andere verzichte ich lieber (z. B. Ansprechperson).
  • Wenn ich die Notwendigkeit nicht sehe. Einige Verfechter genderneutraler Sprache argumentieren, dass Worte und Redewendungen, die von Natur aus sexistisch sind, nicht mehr verwendet werden sollen. Also so Phrasen wie „etwas auf Vordermann bringen“ oder die Worte „herrlich“ (von Herr, positiv) und „dämlich“ (von Dame, negativ). Manche empfehlen sogar, auf das Wörtchen „man“ zu verzichten. Ich glaube, dass wir solche Ausdrücke allesamt so verinnerlicht haben, dass wir beim Gebrauch nicht über den Ursprung und die enthaltende Diskriminierung nachdenken. Der Schaden, der dabei angerichtet wird, scheint mir nicht existent bis verkraftbar.
  • Wenn es Zeichenbegrenzungen gibt. In Google Ads, auf Werbeplakaten oder in Website-Metadaten, wo man begrenzten Platz hat, ist äußerst schwierig bis unmöglich. Im Mittelpunkt sollte hier die Botschaft stehen. Wenn es sich irgendwie umsetzen lässt – fantastisch. (Aus SEO-Perspektive kann es allerdings auch Nachteile haben, die gegenderte oder weiblich Form von Substantiven zu verwenden.)

Wie ich gendere

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat es abgelehnt, einheitliche Regeln fürs Gendern festzulegen. Möglichkeiten gibt es etliche – von der Nennung beider Formen, über das Gendersternchen bis zur x-Form.

Ich habe lange das Binnen-I genutzt. Es gefiel mir deshalb so gut, weil es ein bisschen hinterlistig ist und auf die falsche Spur führt. Liest man „die TeilnehmerInnen tauschten sich bei einem Glas Sekt aus“, könnte man im ersten Moment denken, es handle sich um einen Tippfehler: „Da hat wohl jemand aus Versehen ein großes I verwendet“. Aber bei einem Satz wie: „Unter den TeilnehmerInnen waren Karrierefrauen, Hausfrauen und Familienväter“ lässt erkennen, dass hier gar nicht alleinig Frauen gemeint waren. Und im Idealfall fühlt sich die Leserschaft etwas schlecht, davon ausgegangen zu sein, dass nur Frauen Sekt trinken.

Das Binnen-I lässt die LeserInnen erstmal auf dem Leim gehen und hat damit hoffentlich eine kleine erzieherische Wirkung. Gleichzeitig ist es subtil genug, um auf den ersten Blick nicht zu erkennen, dass es sich um einen gendergerechten Text handelt.

Der Nachteil ist, dass es non-binäre Personen ausschließt. Deshalb bin ich zum Gendersternchen übergegangen. Der Anteil der non-binären Personen an der Gesamtbevölkerung mag gering sein, aber wenn man mit nur einem Satzzeichen mehr dafür sorgen kann, dass sie sich etwas akzeptierter fühlen, sollte man das meiner Meinung nach tun.


Achtest du bei deinen Texten auf genderneutrale Sprache?

Julia Wißmeier

Julia Wißmeier

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